Die Welt (Seite 12 am 20. April) sah gestern den online-Händler Amazon in neuen Dimensionen. Während er bislang „nur“ branchenbeherrschend war, gilt er jetzt als systemrelevant.
Die Folgen der Krise für unsere Nachbarn vor Ort
Damit zeigen sich die Folgen der Digitalisierung, durch die aktuelle Corona-Krise zugespitzt: Viele Bereiche des klassischen Präsenzgeschäftes werden künftig nicht mehr ohne eine Zwei-Wege-Strategie bestehen können. „Klagen statt handeln“, diese Strategie vieler vor-Ort-Händler ist die Einleitung zu einer assistierten Selbsttötung.
Doch auch Städte und Gemeinden sind von dieser Umstellung bedroht, weil sie zulang die Brisanz der digitalen Disruption ignoriert haben.
Warum kaufen Menschen online?
Die klassische Antwort lautet:
- online einkaufen ist bequemer
- online einkaufen ist nicht an Öffnungszeiten gebunden
- online einkaufen ist billiger
Das Reduzieren auf drei Kaufmotive beim Kunden ignoriert viele Käuferbedürfnisse und damit auch viele Entscheidungsvariablen.
Denken Sie nicht in bequemen Vorurteilen
Schon lange kritisiere ich die verkürzte Diskussion um die Abwärtsentwicklung im stationären Handel und die Verödung der Innenstädte. Ein Blick auf das Verhalten des Käufers konnte die Denkfehler aufzeigen. Warum kaufen Sie online? Wann kaufen Sie online?
Schauen Sie unvoreingenommen auf die Realität
Ich zum Beispiel kaufe online, weil
- ich dort Waren finde, die vor Ort nicht erhältlich sind
- ich dort Waren in kurzer Zeit finde, für die ich vor Ort lange und häufig vergeblich suchen müsste
- ich Zeit spare
- ich zu einem Produkt deutlich mehr Varianten finde als im stationären Handel
- ich Rezensionen finde, die mir bei der Entscheidung helfen
- ich manchmal tatsächlich Geld spare (manchmal zahle ich aber auch höhere Preise)
- ich tatsächlich auch dann noch kaufen und suchen kann, wenn die Geschäfte bereits oder schon wieder geschlossen haben
- ich neuerdings auch die Gewissheit finde, daß ein Produkt vorrätig ist
- ich neuerdings auch nicht Schlange stehen muss
Deutlich mehr Gründe als nur Geschäftszeiten und Preis
Wer so eine einfache Vor-Ort-Analyse gemacht hätte, der hätte schon längst ein Nutznießer werden können: Der hätte erkannt, eine Website wäre sinnvoll, um die eigene Angebotsfülle zu zeigen. Der hätte schon längst das Suchverhalten von Käufern analysieren können und seine Perspektive erweitern. Er hätte aber auch schon längst den Nutzen von Marktplätzen erfahren können. Und damit bietet Amazon einen weiteren Vorteil gegenüber singulären Webshops. Kaum ein Online-Händler kommt um den Marktplatz bei Amazon herum.
Der Käufer wird jetzt dauerhaft öfter im Netz kaufen
Das ist bitter, weil Experten jetzt davon ausgehen, daß der Käufer dauerhaft mehr online kaufen wird. Das kölner Handelsforschungsinstitut IHF stellte zwischen dem 12. und 18. April mit einer Umfrage fest, daß 22 Prozent der Befragten ihre Einkäufe online erledigt hatten, die normalerweise nebenan getätigt worden wären. Künftig werden das vielleicht nicht mehr 22 Prozent sein, vielleicht nur 15 Prozent. Doch: Für Händler vor Ort bleibt damit dauerhaft weniger übrig. Und der persönliche Webshop wird das nicht ausgleichen. Dafür ist er nicht komfortabel genug.
Städte und Gemeinden haben einen wichtigen Trend verschlafen
Stadtentwicklung ist künftig nicht mehr nur ein faktisches Projekt. Es geht nicht mehr länger darum, Stadteile zu überfordern oder zu vernachlässigen durch falsch geleitete Verkehrs- und Käuferströme, ungepflegte Straßen und den Mangel oder das Überangebot an Parkplätzen.
Stadtentwicklung muss künftig auch die digitale Präsenz umfassen und mehr sein als eine Werbe- oder Informationsseite im Netz. Es geht dabei nicht länger um Werbeaktionen wie „Warum ich gerne in Bergisch Gladbach bin…“ Sie muss sich mit der Situation des Handels, dem Aufbau von interessanten, nützlichen regionalen Markt- und Informationsplätzen beschäftigen. Sie sollte Zukunftswerkstätten etablieren, die da Nachhilfe leisten, wo es nötig ist. Einzelkämpfer wie kleine Geschäftstreibende haben oft wenig Chancen sich einen Marktüberblick zu verschaffen und sinnvolle Strategien zu entwickeln, die die eigenen Möglichkeiten erweitern.
Was ist zu tun?
Für Händler:
- Kreieren Sie eine Webpräsenz
- Machen Sie offensiv Werbung dafür
- Bieten Sie komfortable Zahlungsvarianten
- Seien Sie auf Marktplätzen und Portalen präsent
- Kooperieren Sie mit Ihren Kollegen vor Ort
In diesen Tagen präsentiert Tele5 eine Kampagne
Wer fernsehen schaut, kann in diesen Tagen auf Tele5 eine interessante Kampagne beobachten. Dort werden Initiativen und Portale vorgestellt, die sonst eher ein Schattendasein führen, beispielsweise
- nebenan.de
- buy local
Solche Intiativen und Portale zu beobachten und sich dort zu engagieren kann ein erster Schritt sein, wenn es keine lokalen Alternativen gibt. Aber genauso wichtig ist es, seine Kunden und Kollegen auf solche Initiativen und sein eigenes Engagement hinzuweisen.